ziviler Ungehorsam

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ziviler Ungehorsam (Deutsch)[Bearbeiten]

Substantiv, m, Wortverbindung, adjektivische Deklination[Bearbeiten]

starke Deklination ohne Artikel
Singular Plural
Nominativ ziviler Ungehorsam
Genitiv zivilen Ungehorsams
Dativ zivilem Ungehorsam
Akkusativ zivilen Ungehorsam
schwache Deklination mit bestimmtem Artikel
Singular Plural
Nominativ der zivile Ungehorsam
Genitiv des zivilen Ungehorsams
Dativ dem zivilen Ungehorsam
Akkusativ den zivilen Ungehorsam
gemischte Deklination (mit Possessivpronomen, »kein«, …)
Singular Plural
Nominativ ein ziviler Ungehorsam
Genitiv eines zivilen Ungehorsams
Dativ einem zivilen Ungehorsam
Akkusativ einen zivilen Ungehorsam
[1] Berlin, 31. Jan. 2022: Eine Aktion des zivilen Ungehorsams ist das Blockieren von Autobahnauffahrten (hier durch Festkleben auf der Straße).
[1] Rosa Parks ist eine Ikone des zivilen Ungehorsams.

Worttrennung:

zi·vi·ler Un·ge·hor·sam, kein Plural

Aussprache:

IPA: [t͡siˌviːlɐ ˈʊnɡəˌhoːɐ̯zaːm]
Hörbeispiele: Lautsprecherbild ziviler Ungehorsam (Info)

Bedeutungen:

[1] eine Art des öffentlichen Protests in Form eines aktiven, gewaltfreien Verstoßes gegen bestimmte Gesetze, Verordnungen, Anordnungen oder dergleichen einer staatlichen Autorität, weil sie als moralisch falsch, nachteilig oder dergleichen angesehen werden

Herkunft:

Es handelt sich um eine seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezeugte Lehnübersetzung des englischen Begriffs civil disobedience → en.[1] Dieser wurde von dem amerikanischen Schriftsteller und Philosophen Herny David Thoreau in seiner 1849 unter dem Titel The Resistance to Civil Government veröffentlichten essayistischen Abhandlung geprägt, die in späteren Fassungen zu On the Duty of Civil Disobedience umgetitelt erschien.[1] Sie beeinflusste Mahatma Gandhi und bildete die Grundlage für seine Bewegung des passiven Widerstands in Südafrika und Indien sowie, später, für die antirassistische Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten von Amerika der 50er und 60er Jahre zur Durchsetzung ihrer politischen Forderungen, die auf die Abschaffung der seinerzeit gesetzlich festgeschriebenen Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung in den Südstaaten zielten.[1]

Synonyme:

[1] seltener: bürgerlicher Ungehorsam

Sinnverwandte Wörter:

[1] Dienst nach Vorschrift, gewaltfreie Aktion, passiver Widerstand

Beispiele:

[1] „[…] Sardar, Führer, nennt man ihn seit etwa 20 Jahren, als er mit der erfolgreichen Inszenierung der Steuerverweigerungskampagne von Bardoli Gandhis Idee des zivilen Ungehorsams der ersten großen Generalprobe unterwarf.“[2]
[1] „1940 rief Gandhi seine Landsleute aus Protest gegen die Beteiligung Britisch-Indiens am Weltkrieg zum zivilen Ungehorsam (Satyagraha) auf, und er bestimmte Vinoba Bhave dazu, als erster Satyagrahi gleichsam symbolisch für ganz Indien ein britisch-indisches Gesetz zu brechen und damit seine Verhaftung zu provozieren.“[3]
[1] „Lord Russell, 89 Jahre alt, sitzt im Gefängnis. Sein rigoroser Kampf gegen Atombomben hat ihn seit langem bei der Obrigkeit unbeliebt gemacht. Diesmal forderte er heraus zu ‚zivilem Ungehorsam‘, wie die Juristen einen von ihm geplanten und mitorganisierten Sitzstreik der Atomwaffengegner vor dem Parlament nennen.“[4]
[1] „Es opponierten
▷ prominente westdeutsche Staatsrechtler und Soziologen (wie die Professoren Helmut Ridder, Heinz Maus, Werner Hofmann, Werner Maihofer und Friedrich Klein) und 92 Bürger der Stadt Dörningheim am Main, die ihrem Bürgermeister ‚zivilen Ungehorsam‘ androhten;
[…].“[5]
[1] „Wer ‚zivilen Ungehorsam‘ leiste, übertrete auch ‚bewußt und vorsätzlich‘ Gesetze, die er für unrechtmäßig halte, und ‚nimmt die dafür vorgesehene Strafe bereitwillig auf sich‘.“[6]
[1] „Ziviler Ungehorsam ist ‚ein die Schranken der Legalität überschreitender Protest gegen ein Gesetz oder eine andere autoritative Maßnahme, das heißt gegen eine Politik‘, die von Repräsentanten einer Mehrheit des Volkes beschlossen worden ist. […] Auf den Einwand, im zivilen Ungehorsam artikuliere sich eine arrogante moralisierende Minderheit, die sich über die Prinzipien der demokratischen Legalität hinwegsetze, eine Gruppe, ‚die sich ihre Legitimation selbst formuliere und … beanspruche, selbst den Ausnahmezustand zu definieren, in welchem es ihr angemessen erscheint, den alten Verfassungskonsens durch einen neuen zu ersetzen‘ (Oberreuter), läßt sich – nach Preuß – lediglich erwidern, daß die im Machtbesitz befindlichen Beauftragten der Mehrheit über ‚eine überlegale Prämie auf den legalen Machtbesitz‘ (Schmitt) verfügen, zu dessen Kompensation die Minderheit – neben den in der Verfassung vorgesehenen Schutz- und Oppositionsrechten auch zivilen Ungehorsam in Anspruch nehmen darf. […] Ziviler Ungehorsam bedeutet daher auch nicht notwendig ‚Mißachtung eines (imaginären) Mehrheitswillens‘, zumal die Legitimität von Regierung und Parlamentsmehrheit als solche von ihm nicht bestritten wird. Wer zivilen Ungehorsam leistet, bestreitet lediglich, daß korrekt zustandegekommene Entscheidungen ‚inhaltlich eine Qualität haben, die für die Betroffenen akzeptabel ist und durch den Hinweis auf die absolvierten demokratischen Verfahren plausibel gemacht werden kann‘.“[7]
[1] „Im Inland unterstützten die Grünen die Koordinationsstelle für zivilen Ungehorsam in Kassel, das Anti-Atom-Büro sowie die Wehrdienstverweigerungsaktionen.“[8]
[1] „Auch im Westen demonstrieren Bürger geringes Vertrauen in Moral und Kompetenz der politischen Eliten. Auch hier gibt es eine zunehmende Sensibilität gegenüber dem Machtmißbrauch von Exekutivorganen. Und auch hier beobachten wir eine wachsende Bereitschaft, an Demonstrationen oder Aktionen des zivilen Ungehorsams teilzunehmen oder sich in Bürgerinitiativen zu organisieren.“[9]
[1] „Es wäre gut, wenn nach den Wahlen am 18. März nicht gedacht würde, jetzt sei alles getan. Es wäre schlecht, wenn die plötzlich dynamisch und aktiv gewordenen Demonstranten in alte Lethargie zurückfielen. Weil das wieder ein guter Nährboden wäre: für das Wachsen eines neuen autoritären Staates. Demokratie muß mensch täglich ausüben, sonst verliert mensch die Übung. Ziviler Ungehorsam ist eine bekannte Größe, und eine gefürchtete.“[10]
[1] „An die Protestkultur von Greenpeace aber reichen sie nicht heran. Keine andere Organisation hat über Jahrzehnte auf so originelle Weise gezeigt, wie effektiv ziviler Ungehorsam wirken kann.“[11]
[1] „Der größte Naziaufmarsch Europas – für die sächsische Justiz eine schützenswerte Veranstaltung. Dies zeigt, dass auch in Demokratien ziviler Ungehorsam angebracht ist ([…]). Das Bündnis ‚Nazifrei‘ ruft deutschlandweit dazu auf, am 19. Februar in die sächsische Landeshauptstadt zu reisen, um sich dem Ungeist von Dresden friedlich und gewaltfrei in den Weg zu stellen.“[12]
[1] „Wie weit darf ziviler Ungehorsam fürs Klima gehen?“[13]
[1] „Aktionen des zivilen Ungehorsams sorgen zwar für Aufmerksamkeit, sind aber umstritten.“[13]
[1] „Manfred Laumann und seine Frau Anna werden zivilen Ungehorsam üben.“[14]

Charakteristische Wortkombinationen:

[1] zivilen Ungehorsam leisten

Übersetzungen[Bearbeiten]

[1] Wikipedia-Artikel „Ziviler Ungehorsam
[*] Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache – Korpusbelege [dwdsxl] Gegenwartskorpora mit freiem Zugang „public
[1] Duden online „zivil
[1] wissen.de – Lexikon „ziviler Ungehorsam
[*] Uni Leipzig: Wortschatz-Portalziviler Ungehorsam
[1] Broder Carstensen, Ulrich Busse; unter Mitarbeit von Regina Schmude: Anglizismen-Wörterbuch. Band 3: P - Z, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1996, ISBN 3-11-014296-1, DNB 946100519, Stichwort »ziviler Ungehorsam«, Seite 1746.
[1] Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. 10 Bände auf CD-ROM ; mehr als 200 000 Stichwörter mit rund 90 000 Belegen aus mehreren Hundert Quellen ; vielfältige Recherchemöglichkeiten ; für MS Windows und Apple Macintosh. Dudenverlag, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 2000, ISBN 978-3-411-71001-0, Stichwort »zivil«.
[1] Dudenredaktion (Herausgeber): Duden, Deutsches Universalwörterbuch. Das umfassende Bedeutungswörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. 9. Auflage. Dudenverlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-411-05509-8, Stichwort »zivil«, Seite 2109.

Quellen:

  1. 1,0 1,1 1,2 Broder Carstensen, Ulrich Busse; unter Mitarbeit von Regina Schmude: Anglizismen-Wörterbuch. Band 3: P - Z, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1996, ISBN 3-11-014296-1, DNB 946100519, Stichwort »ziviler Ungehorsam«, Seite 1746.
  2. Dornen auf der Zunge. Starker Mann auf Gandhis Spuren. In: DER SPIEGEL. Nummer 21, 22. Mai 1948, ISSN 0038-7452, Seite 12 (DER SPIEGEL Archiv-URL, abgerufen am 8. September 2021).
  3. H. W. Berg: „Auferstandener“ Gandhi. In: DIE ZEIT. Nummer 26, 27. Juni 1957, ISSN 0044-2070, Seite 2 (DIE ZEIT Archiv-URL, abgerufen am 8. September 2021).
  4. Lord Russell hinter Gitter. In: DIE ZEIT. Nummer 38, 15. September 1961, ISSN 0044-2070, Seite 1 (DIE ZEIT Archiv-URL, abgerufen am 8. September 2021).
  5. Bachab schicken. In: DER SPIEGEL. Nummer 46, 6. November 1967, ISSN 0038-7452, Seite 38 (DER SPIEGEL Archiv-URL, abgerufen am 8. September 2021).
  6. Sehr schnell vorbei. In: DER SPIEGEL. Nummer 33, 8. August 1977, ISSN 0038-7452, Seite 38 (DER SPIEGEL Archiv-URL, abgerufen am 8. September 2021).
  7. Iring Fetscher: Ziviler Ungehorsam als Bürgerrecht. In: DIE ZEIT. Nummer 14, 29. März 1985, ISSN 0044-2070, Seite 18.
  8. Rudi Kilgus: Die üppigen Finanzen der Grünen. In: Mannheimer Morgen. Nummer 217, 19. September 1985, Seite 02.
  9. Helmut Dubiel, Günter Frankenberg, Ulrich Rödel: „Wir sind das Volk“. In: Frankfurter Rundschau. Nummer 1/1, 2. Januar 1990, ISSN 0940-6980, Seite 11 (D-Ausgabe).
  10. Susanne Rummel: Quo Vadis Lipsia? In: Die Leipziger Andere Zeitung. Unabhängiges Wochenblatt. Nummer 5, 1. März 1990, ISSN 0863-3088, Seite 1.
  11. Olaf Preuß: Urzelle des Protests. In: Hamburger Abendblatt. Nummer 237, 11. Oktober 2010, ISSN 0949-4618, Seite 8 (Archiv-URL, abgerufen am 8. September 2021).
  12. Tobias Kühn: Dresdens Gegenmacht. In: Jüdische Allgemeine. Wochenzeitung für Politik, Kultur, Religion und jüdisches Leben. 3. Februar 2011, ISSN 1618-9698, Seite 2.
  13. 13,0 13,1 Silvia Staub: Wie weit darf ziviler Ungehorsam fürs Klima gehen?. In: Schweizer Radio und Fernsehen. 13. Oktober 2022 (URL, abgerufen am 15. Oktober 2022).
  14. Andrea Böhm: Zwischen Christus und Castor. In: taz.de. 10. März 1998, ISSN 2626-5761 (URL, abgerufen am 17. Januar 2023).
  15. Arabischer Wikipedia-Artikel „عصيان مدني
  16. Chinesischer Wikipedia-Artikel „公民不服從
  17. Dänischer Wikipedia-Artikel „civil ulydighed
  18. Englischer Wikipedia-Artikel „civil disobedience
  19. Finnischer Wikipedia-Artikel „kansalaistottelemattomuus
  20. Französischer Wikipedia-Artikel „désobéissance civile
  21. Italienischer Wikipedia-Artikel „disobbedienza civile
  22. Japanischer Wikipedia-Artikel „市民的不服従
  23. Koreanischer Wikipedia-Artikel „시민 불복종
  24. Niederländischer Wikipedia-Artikel „burgerlijke ongehoorzaamheid
  25. Norwegischer Wikipedia-Artikel „sivil ulydighet
  26. Persischer Wikipedia-Artikel „نافرمانی مدنی
  27. Polnischer Wikipedia-Artikel „obywatelskie nieposłuszeństwo
  28. Portugiesischer Wikipedia-Artikel „desobediência civil
  29. Russischer Wikipedia-Artikel „гражданское неповиновение
  30. Schwedischer Wikipedia-Artikel „civil olydnad
  31. Spanischer Wikipedia-Artikel „desobediencia civil
  32. Tschechischer Wikipedia-Artikel „občanská neposlušnost
  33. Türkischer Wikipedia-Artikel „sivil itaatsizlik
  34. Ungarischer Wikipedia-Artikel „polgári engedetlenség